Zu Franz Türtschers künstlerischer Intervention "Farb-Licht" an den von Arch. Hans Riemelmoser entworfenen Stationen der neuen Kriegerhornbahn in Lech am Arlberg

Christian Muhr, freier Ausstellungsmacher, Kritiker und Produzent, Wien, Januar 2002

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Sport ist ein sinnliches Vergnügen, bei dem neben intensiven körperlichen auch starke ästhetische Erfahrungen gesucht werden. Im Sommer erscheint dieser Zusammenhang direkter und offensichtlicher, aber auch der Wintersport bietet eine Fülle an visuellen und sensuellen Reizen, die beispielsweise dem Skifahren seine besondere Faszination verleihen.

Der Arlberg gilt dank seiner klimatischen und landschaftlichen Vorzüge und dem hohen Niveau an touristischer und gastronomischer Kultur zurecht als Eldorado des alpinen Skisports, das sich trotz seiner Beliebtheit vor den Verwüstungen durch den Massentourismus weitgehend schützen konnte.

Gerade in letzter Zeit sind an bekannten Ski-Orten, wie Lech, St. Anton, Warth und Zürs einige bemerkenswerte Beispiele zeitgenössischer Architektur entstanden, die sich von ihrer baulich traditionell, aber vor allem konventionell geprägten Umgebung deutlich abheben. In Fällen wie der WM-Halle, dem Hotel "Anton" in St. Anton oder dem Appartmenthaus "Lechblick" in Warth werden klassische Aufgaben der Tourismusarchitektur, wie Hotel-, Sportstätten- und Liftbau jenseits von Kitsch und Klischee interpretiert, um gleichzeitig ein zeitgemäßeres und wohl auch aufrichtigeres Verhältnis zwischen Parametern wie Natur und Kommerz, Landschaft und Technisierung, Architektur und Infrastruktur herzustellen, die diese Tourismusregion seit Langem prägen.

Die neu errichtete Bahn auf das Kriegerhorn setzt nicht nur neue Standards im Bereich Komfort und Funktionalität in der Personenbeförderung, sondern demonstriert durch ihre klare Formensprache auch die dahinterstehende architektonische Haltung, die mit klug und konsequent eingesetzten Mitteln ein Höchstmaß an unmittelbar erlebbarer räumlicher und sinnlicher Qualität zu erzeugen sucht. Riemelmoser entwirft die Situation für die Berg- und Talfahrt als einfache Glasboxen und etabliert damit eine Architektur maximaler Transparenz, in der das Spannungsverhältnis zwischen Innen und Außen, Gebäude und Umgebung im Mittelpunkt steht.

Ausgehend von diesem zentralen Entwurfsgedanken hat der Künstler Franz Türtscher für beide Liftcontainer eine Fassadengestaltung entwickelt, die die Intentionen der Architektur auf ganz eigenständige Weise intensiviert. In die fachwerkartige Stahlkonstruktion der Glasummantelung fügt Türtscher jeweils 14 bzw. 12 rechteckige Farbfelder, die dem Raster der Fassade folgen und sie durch das abwechselnde, spannungsreiche Spiel von Farbe und Transparenz rhythmisieren. Die Folien transportieren kräftige Farben, wie Rot, Grün, Blau, Rosa, Violett in unterschiedlichen Sättigungsgraden und sorgen je nach Perspektive für farbige Ausblicke in die umgebende Natur oder für bunte Lichteinfälle in die Lifthalle. Gerade die Strenge der Anordnung sowie die Sparsamkeit der Farbakzente ermöglicht Farbwirkungen und -wahrnehmungen verblüffender Opulenz: Je nach Sonnenstand bzw. Intensität des einfallenden Lichtes entsteht ein Kaleidoskop von Farbflächen, das sich permanent verändert. Türtschers Intervention an der Haut der Halle verwandelt sie in einen großformatigen, begehbaren, optischen Apparat mit einem leuchtenden Gehäuse, der selbst bewegte Farbbilder erzeugt und damit die für das Ski- und Liftfahren zentralen Bewegungsmodalitäten wie Gleiten und Schweben visualisiert. Gleichzeitig werden die Skifahrer mit ihren bunten Sportbekleidungen Teil des Bewegungsbildes, das sie ergänzen, überlagern und verändern.

Die einzelnen Farbfelder übernehmen kommunizierende Funktionen zwischen dem Innen- und Außenraum; sie bilden ähnlich einer Sonnenuhr den Lauf der Sonne ab und übersetzen die Wetterverhältnisse in das Innere der Anlage. Umgekehrt tauchen die Farbfelder die dahinterliegende Natur in unterschiedliches Licht und eröffnen dadurch ein kontrastreiches Panorama auf die umgebende Landschaft, das die Künstlichkeit der Naturwahrnehmung unmittelbar vor Augen führt und den eingeübten, romantischen Blick durch die Anordnung von Farbflächen gleichsam filtert.

Gleichzeitig beschäftigt sich diese präzise auf die Aufgabe abgestimmte Arbeit mit fundamentalen Fragen der bildenden Kunst, wie den Proportionen und den Farbwirkungen. Türtscher riskiert es, diese Wechselwirkungen in Anwendung auf einen profanen Zweckbau zu untersuchen und seine Ergebnisse dem Test durch Umweltbedingungen auszusetzen, die sich von üblichen Kunstkonditionen dramatisch unterscheiden.

Franz Türtschers Arbeit für den Lift auf das Kriegerhorn bezieht ihre intensive, irisierende Wirkung ganz aus den Akzentuierung des medialen Charakters der Architektur selbst und kann daher auf üblich gewordene Medienapplikationen wie Bildschirme oder Projektionsflächen völlig verzichten. Im Vergleich dazu kann die Arbeit des Künstlers als "minimal invasiv" bezeichnet werden, denn ihm genügen einige Quadratmeter hauchdünner, handelsüblicher Folie, um sowohl subtile als auch spektakuläre visuelle Effekte zu erzeugen, indem er den Blick färbt und dadurch auf das fokussiert, was vorhanden, zu sehen, zu erfahren ist. Wieviel davon "da" ist, wird niemandem entgehen, der künftig auf das Kriegerhorn fährt.

Christian Muhr (1963), Wien, freier Ausstellungsmacher, Kritiker und Produzent. Betreibt gemeinsam mit Sabine Dreher das Label liquid frontiers als unabhängiges Instrument zur Realisation von Projekten und Produkten in zeitgenössischen Gestaltungsbereichen wie Bildende