Bilder beim Wort nehmen
Hartwig Knack, Oktober 2024
Eigentlich habe er schon immer mit Text gearbeitet, erzählt Franz Türtscher im Gespräch. Das Formale und die Ästhetik der Typografie haben ihn interessiert. Texte, die Zeichnungen bilden, Wörter als „positive Wachmacher“, über die länger nachgedacht werden kann, die Verwendung vorarlbergischer Dialekte als Referenz auf seine Heimat und generell die Bezugnahme auf Sprache als identitätsstiftendes Merkmal.
Seit mehreren hundert Jahren finden wir die Verwendung von Schrift als Bild, Symbol, Zeichen und Material in der Poesie wie auch in der bildenden Kunst. Sich von einzelnen Buchstaben, Worten, Bonmots oder literarischen Texten inspirieren zu lassen, gehört längst zur Tradition unserer visuellen Kultur und bedeutet im Spektrum der zeitgenössischen Kunst, dem Geschriebenem Form zu geben und auf diesem Weg neue symbiotische Bedeutungsebenen zu erschließen.
Collageartig erzielt Türtscher mittels Kombination einzelner Worte wie etwa „KUNST FORM POESIE“ oder „VISION STRESS EMOTION“ spannende Gefüge, die in ihrer bildnerischen Ausformung immer auch unerwartete ästhetische Potenziale in sich tragen. Durch fehlende Zwischenräume, die üblicherweise Buchstaben in einem gesetzten Text sichtbar voneinander trennen, verschmilzt die Typografie auf den Bildträgern teils zu heterogenen Flächen. Durch diesen Kunstgriff sind einzelne Worte erst auf den zweiten Blick zu entziffern. Die unmittelbar neben- und übereinander positionierten Lettern verwandeln sich zu einem Liniengeflecht, das ein Gesamtmotiv entstehen lässt. Bild gewordene Schrift.
Als Basismedium unserer Zeit dient Türtscher die schriftliche Äußerung als Werkzeug, um in seinen Schriftbildern Zusammenhänge von Wahrnehmung und Kommunikation, von Lesen und Sehen herauszuarbeiten. Der Künstler verwendet Worte als Rohstoff, als Bausteine, die er – mit Acrylfarbe auf Leinwand festgehalten – immer in neuen Ordnungsstrukturen gestalten kann. Hier agiert er ähnlich programmatisch wie in einigen seiner Gemäldeserien: Zwei oder drei Farbfelder werden anfangs auf die weiße Leinwand gesetzt, die Breite der gewählten Abklebebänder definiert den Abstand zu den kommenden geometrischen Figuren, die ihrerseits als weitere Segmente auf die bereits gemalten Flächen reagieren. Ein intuitives Arbeiten, das den geplanten Zufall zum Akteur werden lässt.
Im Falle der „Schrift – Bilder“ nun verhält sich ein Wort zu einem nächsten und es entwickeln sich infolgedessen facettenreiche Blickwinkel, Bezugssysteme und Konstellationen. Inhaltliche und formale Logiken laden zu individuellen Assoziationen und Interpretationen ein. Selten nur formuliert Türtscher kurze zusammenhängende Wortfolgen wie beispielsweise „IN ALLE RICHTUNGEN“, „AUF AUGENHOEHE“ oder er verwendet die Vorarlberger Redewendung „NET LUGG LO“ (nicht aufgeben, nicht nachlassen), die wie Kommentare zur eigenen Arbeit, zur eigenen Befindlichkeit oder zu Themen aus Politik und Gesellschaft anmuten.
Meist stellt der Künstler kürzere oder längere Wortreihungen ohne Punkt und Komma zusammen, die vielfältige semantische Verknüpfungen schaffen. Mal sind es „Dreizeiler“ auf quadratischen Leinwänden, die zum Teil auch in Form von Skulpturen unter dem Titel „SCHRIFT – WÜRFEL“ als Wort-Körper im Raum stehen. Mal bilden modulartig übereinander positionierte Leinwände, die formatfüllend jeweils ein Wort aufnehmen, mehrteilige Arbeiten, deren vertikale Ausdehnung theoretisch ohne Begrenzung nach oben und unten fortgeführt werden könnte. Einerseits fungiert hier das in Blockschrift gemalte Wort als Inhaltsträger, andererseits auch als grafisches oder konstruktives Element, welches als Gerüst das aus ihm heraus entstandene Bild hält. So verweist etwa „INTUITION KUNST“ auf Erkenntnis, auf Vorstellung und eine Augenblicksidee. „OPTION ILLUSION“ nimmt Bezug auf Dreidimensionales, Suggestion und optische Täuschung. Sujets, die der Kunst grundsätzlich inhärent sind. „JETZT ZEIT JETZT“ spielt vielleicht auf Prozessuales und den Aspekt alles Zeitlichen an, der unser aller Leben prägt. Im Hier und Jetzt leben. Dieser zutiefst buddhistische Gedanke klingt in Türtschers kurzer Sentenz an. Ein Plädoyer dafür, den Blick auf das Wichtige im Leben zu lenken, den Moment als wertvoll zu erachten und zu genießen?
Im Ausstellungszusammenhang stehen die Schriftbilder, wie man meinen könnte, nicht isoliert da. Als autonomes Gegenüber zu anderen Werkreihen provoziert der Künstler neue Perspektiven und Bezugsrahmen im Miteinander. So schärfen die Werke des Künstlers unsere Sinne für die Bereiche zwischen dem, was wir optisch wahrnehmen und dem, was schriftlich formuliert ist. Mal wird Schrift als Mittel der Narration eingesetzt, mal treten Lesbarkeit und inhaltliches Verstehen in den Hintergrund, mal loten die Textbausteine imaginäre oder reale Räume aus.
Türtscher ist sich bewusst, dass unser Leben von Bildern und Schriftzeichen bestimmt ist. Selbst auf abgelegenen Wanderwegen in einer scheinbar unberührten Natur treffen wir auf Symbole, Piktogramme oder schriftliche Hinweise. Sie liefern Orientierung und zeigen an, in welche Richtung der Weg weitergeht. Wenn Kunst die mediale Bilderflut unserer Zeit mit dem geschriebenen Wort kombiniert, dann handelt es sich im Grunde – ganz pragmatisch gesehen – um die Verarbeitung und Weitergabe von Emotionen und Informationen. Das Statement „KUNST MOTIVIERT“ prägt das Motiv eines der Arbeiten Franz Türtschers. Wir tun gut daran, seine Schriftbilder beim Wort zu nehmen.
Hartwig Knack, Oktober 2024