Zu Franz Türtschers Ausstellung in der Galerie Lindner: „Kontraste – Farbensehen“

Dr.phil. Sarah Kolb, Januar 2004

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KF, Nr. 005/04

Weniger als ein Bild im Sinne der herkömmlichen Ausstellungsordnung, denn als ein zu durchdringender Farbraum und sozusagen als eine unmittelbare Herausforderung an unsere wahrnehmende Aufmerksamkeit ist Franz Türtschers neueste Arbeit zum Thema "Farbensehen" zu verstehen. Durch die Montage einer Serie von Teilbildern, welche wiederum einem Prinzip der kontinuierenden Darstellung folgen, erzielt er eine abstrakte Visualisierung der Veränderlichkeit und Prozesshaftigkeit von Ordnungsmustern im Allgemeinen, ohne sich dabei auf eine konkrete Verweisstruktur festzulegen. In ihrem Ausdruck aufs Innigste mit der Tradition der Simultandarstellung verbunden, werden die gestalterischen Mittel zugunsten einer Reduktion auf ihre Äußerlichkeit instrumentalisiert: was wir sehen, ist im Wesentlichen nichts als Farbe - eine autonome Qualität, die ihrerseits eine Grundbedingung jeder weiteren Strukturierung des Wahrgenommenen darstellt. Während das Bild als Ganzes von einer Hintergrundstruktur horizontaler Balken gleichsam getragen wird, bewirken die einzelnen, in ihrer vertikalen Ausrichtung zu Linien gedrängten Farbfelder bzw. Kontraste, insofern sie in ihrer Farbigkeit und Proportionalität von einer jeweiligen Farbumgebung verändert erscheinen, eine vordergründige Sehirritation. Mit einer geradezu körperlich spürbaren Aufdringlichkeit, Unüberschaubarkeit und Unverdaulichkeit öffnet sich das Bild zum Betrachter hin, in dessen Augen die einzelnen Harmonien und Disharmonien, Resonanzen, Dissonanzen und Brüche unweigerlich zu einem einzigen Farbklang verschwimmen. Es entsteht ein vielschichtiger, beinahe voluminöser Bildraum, angesichts dessen Überfülle und farblicher Intensität sich unser diskriminierendes Bewusstsein an den Grenzen seiner Aufnahme- und Unterscheidungskapazitäten bewegt. Augenscheinlich ist eine zum Stillstand gebrachte Hektik im Bild, welches als eine Quelle der Reizüberflutung wie als ein Aufruf zum Innehalten, als eine Einladung zur Erwägung wie auch zur Versenkung gelesen werden kann. In seiner Eindringlichkeit kaum auf einen reinen Formalismus reduzierbar, erzeugt es ein fluides Feld von Wechselwirkungen und Virtualitäten und stellt somit eine Art formalisiertes Denkmodell oder archivarisches Bezugssystem der unterschiedlichsten Erlebensqualitäten dar, welches beliebig erweiterbar ist und sozusagen über seine Grenzen hinauswächst, indem es auf die grundlegende Heterogenität, Komplexität und Dynamik einer beliebig definierbaren Lebenswirklichkeit verweist.

Ganz im Gegensatz zur Vulgärfarbigkeit und Ruhelosigkeit eben beschriebener Farbinstallation steht eine Reihe kleinformatiger Bilder, die sich in ihrer schlichten Rasterhaftigkeit auf eine formale Struktur aus Schwarz-Weiß-Kontrasten beschränken. Nach einem Muster von Gegenüberstellungen wie kontinuierlich-diskontinuierlich oder offen-geschlossen aufgebaut, lässt ihr Bildraum verschieden dimensionierte, auf einer demokratischen Struktur basierende Regionen in den Vordergrund treten, deren flächiges Nebeneinander mitunter eine räumliche Perspektive suggeriert. Ein Effekt der Ausgewogenheit wird insbesondere durch das harmonische Verhältnis vertikaler wie horizontaler Linien erzeugt, welche von ihrer Ausrichtung her zwar ins Unendliche streben, an deren Berührungspunkten der Blick jedoch eine Verankerung findet. Es handelt sich somit um eine Serie von Bildern, die dem Auge des Betrachters durch ihre Klarheit und Einfachheit ein Moment der Gelassenheit vermitteln.